Viktor E. Frankl
Prof. Dr. med. et phil. Viktor E. Frankl (1905-1997) war Universitäts-Professor für Psychiatrie und Neurologie an der Universität Wien und lehrte an verschiedenen Universitäten der USA (San Diego, Harvard, Stanford, Dallas und Pittsburg). Eine rege Vortragstätigkeit führte ihn durch alle fünf Kontinente. Aus aller Welt wurden ihm insgesamt 29 Ehrendoktorate verliehen.
Frankl entwickelte seine Logotherapie und Existenzanalyse in den Dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts. Die Zeit seiner Inhaftierung in vier Konzentrationslagern während des Zweiten Weltkriegs war ein erster Prüfstein seiner Lehre. Unter extremsten Bedingungen stellte er seine Überzeugung von der unbedingten Sinnhaftigkeit des Lebens und von der unzerstörbaren Würde des Menschen auf die Probe und fand sie an Mithäftlingen, am Wachpersonal und vor allem auch an sich selbst bestätigt. In seiner kurz nach Beendigung des Krieges veröffentlichten Schrift «…trotzdem Ja zum Leben sagen» legte er davon ein eindrückliches Zeugnis ab.
Logotherapie und Existenzanalyse
Frankls Konzept der Logotherapie und Existenzanalyse beruht auf einer kritischen Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse Sigmund Freuds und mit der Individualpsychologie Alfred Adlers. Frankl vermisste bei diesen Ansätzen die Berücksichtigung der geistigen Dimension des Menschen, hielt sie also für «reduktionistisch»: auf die Ebene des Psycho-Physischen beschränkt.
Mit «Logos» meint Frankl in erster Linie «Sinn». «Logotherapie» meint Unterstützung der Sinnfindung.
«Existenz» ist für Frankl die spezifische Seinsweise des Menschen, nämlich seine Fähigkeit, zu den schicksalshaft vorgegebenen körperlichen, seelischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Bedingtheiten seines Lebens Stellung zu nehmen. «Existenzanalyse» meint Hinführung zur Bewusstwerdung der aktuellen Existenzbedingungen und Unterstützung der Bemühungen, in Freiheit und Eigenverantwortung gestaltend auf sie einzuwirken. Für Frankl gilt: Der Mensch ist nicht festgelegt auf sein faktisches So-Sein, sondern ausgelegt auf mögliches Anders-Sein. «Existenz» ist keine statische Gegebenheit sondern ein dynamischer Vorgang, in ständiger Entwicklung begriffen.
Die Logotherapie und Existenzanalyse richtet ihr Hauptaugenmerk auf die geistigen Komponenten des Menschseins, allem voran auf seinen freien Willen, auf seine Verantwortlichkeit und auf das grundlegende Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit im Leben.
Viele Menschen leiden darunter, dass dieses Grundbedürfnis nach sinnerfüllter Lebensgestaltung frustriert wird, ihre Frage nach Sinn im Leben keine Antwort findet. Manche zerbrechen daran. Und zwar nicht nur Menschen in Not, sondern gerade auch Menschen im Überfluss. In einer Welt wie der unsrigen, in der die Menschen genug zum Leben haben aber oft kein Wofür und Wozu ihres Lebens zu erkennen vermögen, ertönt immer lauter der Ruf nach Sinnhaftigkeit, nach Halt in tragfähigen Werten, nach Menschlichkeit.
Frankl hat diesen Ruf vernommen und die existenzielle Bedeutung der Sinn- und Wertfrage erkannt. Mit seiner Logotherapie und Existenzanalyse begegnet und unterstützt er Menschen in ihrem Bemühen um Sinnfindung, in ihrem Streben nach freier und eigenverantwortlicher Lebensgestaltung, in ihrer Suche nach Orientierung in unüberschaubaren Situationen, bis hin zum Tragen eines unabwendbaren und sinnlos erscheinenden Leidens (etwa einer unheilbaren Krankheit, einer Gewalterfahrung), zum Ertragen von Schuld und zur Akzeptanz der eigenen Endlichkeit angesichts des nahenden Todes.